Die Vikariatsausbildung setzt neue Schwerpunkte

Eigenverantwortung und lebenslanges Lernen

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Kirchenrätin Isolde Schmucker informiert in ihrem Artikel über die Neu-Konzeption der Vikaratsausbildung in der ELKB

Bild: ELKB

»Nichts ist so beständig wie der Wandel«, behauptete schon Heraklit. Aber jeder Wandel muss eine Grundlage haben. Was ist gut, was behalte ich, wo nehme ich bereits Erreichtes mit in die Veränderung? Wie schnell muss eine Veränderung geschehen, um den gesellschaftlichen und kirchlichen Umbrüchen zu entsprechen, zeitgemäß zu sein? Wohin wollen wir uns verändern, was ist unser Ziel?

Die Planungen für das Projekt Vikariat 2026 begannen Anfang 2020. Früher als ursprünglich gedacht wurde die Reform jetzt zum Herbst 2023 umgesetzt.

VIELES IST IM WANDEL

Grundlage für die Neu-Konzeption der Vikariatsausbildung sind die innerkirchlichen Reformprozesse unserer Landeskirche, der Pfarrbildprozess, der Prozess Miteinander der Berufsgruppen sowie PuK – Profil und Konzentration. Grundlage ist aber auch der enorm voranschreitende gesellschaftliche Wandel, der die Kirchenentwicklung in kurzer Zeit grundlegend beeinflussen wird. Ebenso spielen eine große Rolle die sich rasch verändernden Lebenslagen und Lebensumstände der Vikarinnen und Vikare. Zunehmende Bedürfnisse nach individuellen Freiräumen, Freiheit, Privatsphäre und partner- sowie familiengeeigneten Arbeitsbedingungen haben für sie ebensolche Bedeutung wie der Wunsch nach einer sinnerfüllenden Aufgabe, die sie authentisch ausfüllen wollen.

UNTERSCHIEDLICHE PERSÖNLICHE VERHÄLTNISSE

Höchst unterschiedliche biografische Wege sind bereits die Regel. Die jungen Menschen unterscheiden sich auch hinsichtlich der eigenen kirchlichen Sozialisation häufig extrem. Nicht selten bringen Vikarinnen und Vikare bereits Erfahrungen aus anderen beruflichen Ausbildungen und der Arbeitswelt mit. Etliche leben bereits in festen Partnerbindungen oder familiären Verhältnissen. Sie wollen berufliche Pflichten der Partnerin bzw. des Partners, die (gemeinsame) Kindererziehung, die endlich gefundene passende Wohnung oder die schon schon erworbene eigene Immobilie in Einklang bringen mit der Ausbildung. Neben den Wünschen nach Freiheit und einer sinnerfüllenden Aufgabe spielt auch der Wunsch nach Sicherheit und Stabilität der Lebensverhältnisse und nach überschaubarer Dauer der Ausbildungsphase eine wichtige Rolle. Auch finanziell muss das (familiäre) Leben gewährleistet sein.

VERÄNDERUNGEN BEDEUTEN GROSSE HERAUSFORDERUNGEN

Neben einer mitunter frei geäußerten Skepsis gegen alles Behördliche und Hierarchische steht häufig eine starke Unsicherheit, wie die eigene Rolle und der Beruf zu gestalten seien. Denn wir leben nicht nur in einer Gesellschaft, die nicht mehr mit Gott rechnet, sondern auch den Anspruch einer subjektivierten Authentizitäts- und Wahrheitsverwirklichung hat. Viele Veränderungen stellen große Herausforderungen für den Pfarrberuf dar: die Individualisierung und Singularisierung der Lebensführungen, technische Entwicklungen wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz, Traditionsabbrüche, Beschleunigung von Veränderungen, soziale Verwerfungen, Verunsicherungen der tragenden Werte und Weltanschauungen, religiöse Vielfalt und Bedeutungsverlust von Institutionen, insbesondere auch ein Relevanzverlust der Kirche.

EINGEBUNDEN IN MULTIPROFESSIONELLE TEAMS

Stärker als bisher wird der Pfarrberuf der Zukunft sich als Teil eines Netzwerks kirchlicher und nicht-kirchlicher Berufe und zunehmend eingebunden in multiprofessionellen Teams darstellen. Stärker als bisher muss im Kontext theologisch-pädagogischer Berufe das Spezifische des Pfarrberufs ausgebildet werden. Die theologische Sprachfähigkeit in die Gesellschaft hinein, Orientierung geben, sowie der Blick auf die Gesamtkirche im Zusammenspiel gesellschaftlicher und kirchlicher Trends werden daher wirksam verankert in einer Ausbildung für eine kirchliche Leitungsaufgabe.

WICHTIGE KONSTANTEN

Die überzeugenden Ziele des Reformprozesses PuK (»Profil und Konzentration«) der bayerischen Landeskirche, Erfahrungsräume für Gottes Gegenwart zu öffnen, Lebensdeutung zu geben, Gemeinschaft zu feiern, Sinn zu stiften, christliche Bildung zu ermöglichen und Menschen mit ihren Gaben zu Botschaftern des Evangeliums in Wort und Tat zu machen, sind wichtige Konstanten kirchlicher Arbeit.

MULTIPERSPEKTIV

Die Inhalte der Ausbildung sind daher entlang der PuK-Grundaufgaben gegliedert, und in der Gesamtkonzeption des Vikariats werden eigenverantwortliches Lernen und vernetztes Arbeiten stärker gefördert. Es wird in der Region verschiedene Lernorte geben mit der Ausbildungsgemeinde als Knotenpunkt. Spiritualität als Erfahrungsdimension des Glaubens wird verstärkt Thema sein. Die eigenen Stärken bewusster wahrzunehmen und auf die zukünftig mit verschiedenen Profilen ausgeschriebenen Pfarrstellen vorbereitet zu sein, nimmt einen großen Raum in den Feedforward-Gesprächen ein. Die Multiperspektivität eines Ausbilderteams mit seinen je verschiedenen Wahrnehmungen, die in den Entwicklungsgesprächen (Feedforward-Gesprächen) zum Ausdruck kommen, bildet eine solide Grundlage für Personalentwicklung.

RELEVANTES WISSEN TEILEN

Welche Kompetenzen und Haltung braucht es bei allen Beteiligten, um die Zukunft zu wuppen, in der nichts beständiger ist als der Wandel? Die früher so wertvolle Fach- und Methodenkompetenz ist nach wie vor wichtig, aber steht mittlerweile nicht mehr so im Vordergrund. Heute sind Menschen gefragt, die relevantes Wissen teilen, sich immer wieder aktuelles Wissen aneignen können, es anwenden und eine hohe Fähigkeit zur kollaborativen Zusammenarbeit haben.

KREATIVITÄT UND INNOVATION

Dazu gehören Eigeninitiative und Eigenverantwortung in der Ausbildung sowie das Bewusstsein, dass die Anforderungen an den Pfarrberuf nur durch berufslebenslanges Lernen erfüllt werden. Gemeinsames Lernen der Ausbilder und Auszubildenden und Rollentausch in bestimmten Kompetenzbereichen, die Vikarinnen und Vikare aus ihrer früheren Arbeitswelt mitbringen, müssen die Ausbildung prägen. Es braucht Freiheiten in der Ausbildung, um Innovation, Kreativität und Veränderungsbereitschaft zu ermöglichen. Neben digitalen Schlüsselkompetenzen sind transformative Kompetenzen zentral, um den großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit und in unserer Kirche begegnen zu können. Denn transformative Kompetenzen ermöglichen Menschen, sich gesellschaftlicher Herausforderungen bewusst zu werden, visionäre Konzepte zu entwerfen und den Mut zu haben, andere von diesen zu überzeugen. Unter transformativen Kompetenzen verstehen wir z. B. Urteilsfähigkeit, Veränderungskompetenz, Dialog- und Konfliktfähigkeit, Innovationskompetenz und Missionsorientierung.

DER DIGITALE FORTSCHRITT HAT DIE KIRCHE ÜBERHOLT

Die Corporate Identity der Kirche als Botschafterin des Evangeliums ist geprägt durch Tradition. Vielleicht deswegen fallen uns Veränderungen schwer, zumal wir den Anspruch haben, alle Mitwirkenden nicht nur einzubeziehen, sondern zu überzeugen. Veränderungen brauchen oft zu viel Zeit. Im Projekt Vikariat 2026 haben uns z. B. Corona und der damit verbundene digitale Fortschritt überholt bei unseren Überlegungen zur Ausbildung in digitalen Schlüsselkompetenzen. Zugleich erleben wir ein Gefühl der Überforderung bei zeitgleichem Wandel in allzu vielen Bereichen. Neue Konzepte sind manchmal noch nicht einmal implementiert und erhalten schon wieder neue Aufgaben. Trends um der Entwicklung willen, weil Krisen uns beuteln? Wandel geschieht in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Gemäß ihrer jeweiligen Zeit – zeitgemäß – müssen diese unterschiedlichen Trends und Veränderungen entwickelt werden, und sie müssen von einem Ziel, einer Vision geleitet sein.

Beim Projekt Vikariat 2026 haben wir uns von der Vision leiten lassen, dass unsere jungen Kollegeninnen und Kollegen die Zukunft der Kirche gestalten in multiprofessionellem Miteinander, vernetzt, innovativ, exemplarisch ausgebildet für die jeweiligen situationsbezogenen Herausforderungen und gefestigt in ihrem Glauben. Stärker als bisher müssen die kirchlichen Entwicklungen und die Lebensweise und -form der Menschen im Blick sein. Verständlich theologisches Reden soll Orientierung geben. Zunehmend sind Ehrenamtliche für Aufgaben auszubilden, die bisher zu den klassischen Aufgaben des Pfarrberufs gehörten. Die Ausbildung selbst muss so angelegt sein, dass sie flexibel und schnell auf die jeweils neuen Herausforderungen reagieren kann. Das Ausbildungskonzept darf kein statisches Konzept sein, sondern muss Wandel als Dauerzustand vertragen.

Kirchenrätin Isolde Schmucker leitet das Ausbildungsreferat im Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB).


23.11.2023 / C.L.