Zur Zukunft der Evangelischen Kirche
»Ich setze auf den Geist Gottes«
»Die Zukunft war früher auch besser.« Der Münchner Karl Valentin hat mit seiner lakonischen Bemerkung den Kern der Frage und dieses Artikels getroffen. Kein vernünftiger Mensch kann 2024 sagen, in welche Richtung sich die Evangelische Kirche in Bayern entwickeln wird. Insofern lesen Sie hier einen unvernünftigen Artikel.
VERÄNDERUNGEN UNERWARTETEN AUSMASSES
Es geht im weiten Raum (nur) gemeinsam. Ich bin davon überzeugt, dass die Kraft des Gemeinsamen in der Evangelischen Kirche die anstehenden Transformationsprozesse gut und zielführend gestalten wird. Wir stehen in der Kirche und in der gesamten Gesellschaft im Moment vor Veränderungen unerwarteten Ausmaßes. Die beschleunigte Säkularisierung und das entsprechende »Verdunsten« von religiösem Interesse und Gefühl auch bei bisher mit den Kirchen gut verbundenen Personen sorgt innerkirchlich für schwierige Prozesse.
VIEL ABSCHIEDSBLUES
Diese Entwicklungen scheinen unaufhaltsam: Das Interesse an Religion geht in allen westlichen Staaten der nördlichen Hemisphäre zurück. Die Ansprechbarkeit von Erwachsenen auf religiöse Fragestellungen schwindet in bedrückender Geschwindigkeit. Die religiöse Sprach- und Aufnahmefähigkeit scheint sich manchmal wie von selbst auf null zu stellen. Das hat aber unmittelbare Folgen für die finanziellen und personellen Ressourcen der Evangelischen Kirche. Es wird gerade viel Abschiedsblues gespielt, manche Mitarbeitende gehen in die innere Emigration, es gibt oft beleidigte Reaktionen, manche kritisieren auch kirchenleitende Entscheidungen mit einer Haltung des »Das ist nicht mehr meine Kirche«.
MUTIGE ENTSCHEIDUNGEN TREFFEN
Mir ist wichtig, dass in dieser Zeit in der Kirche zwei Prozesse parallel laufen und genau die gleiche Aufmerksamkeit brauchen. Der wichtigste Prozess ist die Vergewisserung, wie uns unser Auftrag in die neue Zeit trägt. Wir brauchen in der Evangelischen Kirche in Bayern weiter eine gute Kommunikation und einen guten Austausch, wie wir als »Team ELKB« auch in Zukunft für die Menschen in Bayern den christlichen Glauben kreativ und liebevoll gestalten werden. Daneben ist es aber auch wichtig, jetzt mutig Konzentrations- und Ressourcenentscheidungen zu treffen. Beide Prozesse sind für die Menschen in der Evangelischen Kirche nicht unbekannt. Die Konzentration beschleunigt sich nun in den 2020er-Jahren stark. Die Strukturen aus der Vergangenheit brauchen wir in der Zukunft verändert. Strukturfragen fressen sofort sehr viel Aufmerksamkeit. Die meiste Energie muss in die Arbeit für die Menschen.
SCHLANKERE STRUKTUREN UND SCHNELLERE ENTSCHEIDUNGSWEGE
Die Richtung der Entwicklung der Kirche in Bayern taucht am Horizont auf: Wir werden eine Kirche mit weniger Mitgliedern sein und darum auch mit einem anderen Auftreten. Es braucht schlankere Strukturen und schnellere Entscheidungswege. Die Kirche wird viel weniger Personal und Möglichkeiten haben als bisher. Deshalb wird es noch wichtiger als in der Vergangenheit sein, unser Profil zu schärfen. Welche Arbeitsbereiche führen in die Zukunft? Welche Strukturen braucht eine funktionsfähige Verwaltung? Wie viel Organisation muss sein, und wie viel Kreativität und Ausprobieren erlauben wir uns? Die Frage der zu erzielenden und der erwünschten Wirkung wird zentral werden bei zurückgehenden Ressourcen.
PROFIL UND KONZENTRATION
Die Richtung der nötigen Transformation haben die kirchenleitenden Organe schon 2017 definiert: Profil und Konzentration. Unter diesen beiden Chiffren versteht jede und jeder das, was sie oder er darunter verstehen will. Ich bleibe beim Wortsinn. Der Fachkräftemangel beschränkt die personellen Möglichkeiten, der Rückgang an Mitgliedern die finanziellen Ressourcen. Darauf muss die Kirche mit Konzentration reagieren. Wir brauchen auf allen Ebenen diese Überprüfung der Aufgaben. Da die gesamte Ressourcensteuerung der Kirche stark von den Ortsgemeinden geprägt ist, können dort für die Zukunftsfähigkeit wirksame Veränderungen zum Ziel führen.
GUTE MISCHUNG AUS EHRENAMT UND UNTERSTÜTZUNG DURCH REGIONALE ZENTREN
Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder werden die Räume, in denen pastorale Arbeit gemacht wird, noch viel weiter ausgedehnt und die Tätigkeiten auf Kernbereiche konzentriert. Hier wären etwa der Gottesdienst, der KonfiKurs, die Segenshandlungen (Taufe, Trauung, Bestattung …), der Religionsunterricht und die Seelsorge (Krankenbesuche …) zu nennen. Man kann im Bereich der römisch-katholischen Schwesterkirche studieren, welche Folgen die Überdehnung für die kirchliche Bindung und für die Ehren- und Hauptamtlichen hat. Oder wir gehen als Evangelische Kirche konsequent den Weg der Konzentration und gehen auf kirchliche Zentren in der Region zu, in denen teamorientiert zusammengearbeitet wird. Dann gibt es in einer Region an einem Ort das Zentrum Gottesdienst und Segen, das Jugendzentrum, das Diakonische Werk, das KonfiCamp und Ähnliches. Diese Arbeitsbereiche werden zentral gut unterstützt und fortgebildet. Für die lokale Präsenz braucht es dann eine gute Mischung aus ehrenamtlichem Engagement und Unterstützung durch die regionalen Zentren. Zusätzlich wird die bisher sehr dezentral organisierte Verwaltung klarer zentral geführt. Theologinnen und Theologen gehen ganz aus der Verwaltung heraus.
DER WEITE RAUM, IN DEN GOTT UNS STELLT
Eines ist mir besonders wichtig. Wir leben und arbeiten im Namen Gottes. Und natürlich ist es unglaublich schwer, ein soziales System wie die Kirche an die Anforderungen der jeweiligen Gegenwart anzupassen. Armin Nassehi hat kürzlich darauf hingewiesen, dass soziale Systeme von der Trägheit leben. Sie wollen sich gar nicht verändern. Ich setze für die Zukunft auf den Geist Gottes und auf Menschen, die sich wie bisher von diesem Geist begeistern lassen für die wunderschöne Aufgabe, kirchliche Arbeit in Bayern zu gestalten. Da gehen uns die Ideen nicht aus. Philipp Melanchthon hat einmal gesagt, dass er darum Theologe wurde, um die Welt besser zu machen. Ich schließe mich da gerne an. Und ich kenne viele, die das ähnlich sehen.
Christian Kopp ist Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern.