Wie Kirche der getrosten Gelassenheit ausstrahlen könnte
Brücken bauen, zuhören, versöhnen

Autor Alexander Jungkunz wirbt in seinem Artikel für mehr Gelassenheit
Bild: ELKB
Hört eigentlich noch jemand zu? Ausgeteilt wird kräftig: In den angeblich sozialen Medien sowieso, aber auch in Talkshows. Schroff prallen Standpunkte aufeinander, oft wirken sie unversöhnbar. Zumindest medial polarisiert sich die Gesellschaft zusehends. Was tun? Vielleicht kann gerade eine Kirche in der Krise eine neue, moderierende Rolle spielen, ein Faktor des Ausgleichs sein.
Hier die Klima-Aktivisten, die sich an Straßen festkleben. Heftigst umstritten und attackiert. Dort die »besorgten Bürger«, die von Corona- Kritikern oft erstaunlich rasch zu Russland-Verstehern geworden sind. Zwischen beiden Gruppen wäre Dialog unmöglich. Wir sehen Szenen von Demonstrationen, bei denen vor allem gebrüllt wird: Demonstrierende schreien Gegendemonstrierende nieder. Im Kleinformat und manchmal nicht viel zivilisierter ist das in Talkshows zu sehen.
DIE NISCHE BOOMT
Harte Fronten, klare Kante. Kein Wunder, dass es da Institutionen nicht gut geht, die sich an die ganze Gesellschaft wenden. Die Nische boomt, das große Ganze ist vielen weniger wichtig oder zu unkonkret. Gerade in Krisenzeiten zählt erst mal das persönliche Umfeld: Familie, Freunde, das eigene Ich sowieso in Zeiten, in denen manche die persönliche Freiheit absolut setzen. Wer da möglichst viele ansprechen will statt eine kleine Klientel, tut sich schwer. Dazu zählen die Kirchen – und die Medien.
ALARMIERENDE AUSTRITTSZAHLEN
Zwei Branchen mit ähnlichen Nöten. Und ähnlichen Reaktionen, aus ihrer Krise herauszukommen. Unsere wichtigsten Produkte sind zusehends weniger gefragt, unsere Kunden werden weniger: Sie in den Kirchen erleben einen Mitgliederschwund, die Aus- trittszahlen sind alarmierend. Wir erleben einen Auflagenschwund, die Leserverluste sind alarmierend. Wir schrumpfen beide – jedenfalls mit unseren »Kernprodukten« Gottesdienst und Tageszeitung. Wir experimentieren beide mit neuen Formaten und mit Veränderungsprozessen. Ein Spagat – bei Kirchen wie bei Medien: Wir wollen und müssen das schrumpfende, buchstäblich aussterbende Stammpublikum halten, wir wollen und müssen aber auch jüngere Menschen erreichen.
ZU VIEL HALTUNG?
Noch eine Parallele zwischen Medien und Kirche: Beiden Branchen wird vorgeworfen, zusehends auf Haltung zu setzen und weniger auf reinen Inhalt. Also: In Berichten verschwimmen Nachrichten und Wertung. Kommentar und Meldung werden nicht sauber getrennt, weil viele ihre Haltung auch in Analysen einfließen lassen. Das tun auch Pfarrer in ihren Predigten, Synoden in ihren Papieren und Beschlüssen. Zugespitzt: Manche Journalisten schreiben Predigten statt Leitartikel, manche Pfarrer predigen Leitartikel statt Predigten. Beides gelingt meistens nicht wirklich gut. Weil manche Journalisten wie Pfarrer von ihrer Haltung felsenfest überzeugt sind. Da gibt es zu viel Eindeutigkeit, obwohl die meisten Themen keineswegs eindeutig oder einfach sind. Zu wenig Grautöne, zu wenig Gegen-Standpunkte. Das ist in den Medien so und auch in den Kirchen.
ZU ERWARTBAR
Kirche ist wohl nicht zu politisch. Aber zu tages-politisch. Auch: zu erwartbar. Zu berechenbar. Nicht mehr überraschend. Was ist hängen geblieben von der jüngsten EKD-Synodaltagung? Synode will Tempo 100 für Kirchen- Beschäftigte auf der Autobahn und Tempo 80 auf Landstraßen. Und: Synode stützt das Anliegen der »Letzten Generation«. Aber diese eindeutige Positionierung im politischen Lager kommt offenbar nicht gut an. Insgesamt schwindet die Bindekraft von Kirche. Die jüngsten Studien, zuletzt der »Religionsmonitor« der Bertelsmann Stiftung, zeigten das eigentlich Erschreckende, Traurige: Viele verlassen die Kirche, weil sie ihnen offensichtlich gleichgültig geworden ist, sie nicht mehr berührt. Das ist das Schlimmste, was Kirche passieren kann: wenn sie Menschen kaltlässt, wenn sie ihnen egal ist.
EIN ANGEBOT UNTER VIELEN
Vielleicht eben ja auch deshalb, weil da kaum Eigenes sichtbar ist. Weil Kirche wirkt wie ein Interessensverband oder ein Verein. Ein An- gebot unter vielen – und noch dazu mit ähnlichen Positionierungen wie andere Anbieter. Zu viele sind zu marktschreierisch. Übertönen sich im Ringen um Aufmerksamkeit, um Klicks, Kunden, Abonnenten, Mitglieder. Der Theologe Klaus Tanner sagte kürzlich in Tutzing, dass es in der Gesellschaft momentan ja keineswegs an Bekennern und Bekenntnissen fehle, im Gegenteil: Wir leben in einer Welt der Dauer-Bekenner - gerade unter Nicht- Gläubigen: Zu hören sind fanatische (Glauben-)Bekenntnisse zu allen möglichen und unmöglichen Thesen – von Untergangspropheten bis zu »Reichsbürgern«.
MEHR GELASSENHEIT
Wie wäre es, wenn sich Kirche da auf etwas besinnt, was sie von anderen unterscheidet: die Gelassenheit, die im Glauben steckt? Die Freiheit, die ein Christenmensch deswegen verspürt, weil er keiner weltlichen Gruppe absolut verpflichtet ist? Christen sind, trotz allem, doch getrost und getröstet. Und schöpfen aus diesem Trost hoffentlich Kraft für ihr Tun. Könnte Kirche nicht Brückenbauer zwischen sonst Sprachlosen sein? Kürzlich lud Heinrich Bedford-Strohm AktivistInnen der »Letzten Generation« und Vertreter der Bayerischen Staatsregierung, dabei auch Innenminister Joachim Herrmann, zum Austausch ins Landeskirchenamt. Es war der Versuch eines Dialogs zwischen Gegnern, die sich zuvor gegenseitig verbal attackierten, übereinander redeten, aber nicht miteinander.
KIRCHE ALS GELASSENER MODERATOR
Wenn Kirche versucht, das schwindende Gemeinschaftsgefühl der Gesellschaft dadurch zu stärken, dass sie zusammenführt als abwägender, gelassener, erst mal zuhörender Moderator: Einen Versuch könnte das doch wert sein. Eine solche Kirche, die eingeht auf die Sorgen und Nöte aller Menschen und versucht, sie aus ihrem Glauben heraus zu betrachten und zu helfen; eine Kirche, die aus jahrhundertealter Erfahrung im Umgang zwischen Menschen schöpfen kann und inzwischen (hoffentlich) gelernt hat, sich nicht absolut zu setzen: Eine solche Kirche der getrosten Gelassenheit würde vielleicht gehört in einem Resonanzraum schriller Beschimpfungen und eitler Selbstbespiegelung.
Alexander Jungkunz ist Chefpublizist der Nürnberger Nachrichten.